Neu-Ulmer Zeitung / 09.11.2016 / von Dagmar Hub

Ein Zeichner nimmt die Welt beim Wort

Der 80-jährige Michael Geyer karikiert seine Mitmenschen in gewitzten Cartoons. Zum Zeichnen fand er erst im Ruhestand – obwohl er aus einer Künstlerfamilie stammt.

Thalfingen Er wuchs mit Kunst auf, und dennoch hat er sie für sich als Berufung erst spät entdeckt: Michael Geyer ist das fünfte Kind des 1968 verstorbenen Künstlers Wilhelm Geyer, eines der bedeutendsten Vertreter der religiösen Kunst des 20. Jahrhunderts. Zum 80. Geburtstag, den er im November feiert, stellt Michael Geyer 40 seiner Cartoon-Arbeiten in der Thalfinger Insel-Galerie aus. Die Zeichnungen karikieren mit spitzer Feder vor allem kirchliche und politische Themen, aber auch Erotisches und den Lebensgenuss.

Warum er im Gegensatz zu seinem vor einem halben Jahr verstorbenen Bruder Hermann erst so spät zur Kunst fand? Michael Geyer erklärt die Gründe so: „Ich habe viele Talente mitbekommen. Die Musik zum Beispiel, das Zeichnen, auch eine pädagogische Ader. Und ich bin ein Wortklauber. Ich spiele unheimlich gern mit Worten und deren Deutbarkeit.“ Beim Zeichnen und Malen, erzählt Geyer, habe er früher immer das Gefühl gehabt, der berühmte Übervater – geehrt unter anderem mit einem Professorentitel und einer Goldmedaille der Internationalen Biennale für christliche Kunst – schaue ihm über die Schulter. „Und wenn mich dann Leute gefragt haben, ob ich auch male oder zeichne, habe ich ‘ja, ja’ gesagt.“ Wobei es im Privaten durchaus Beschäftigungen mit der Kunst gab, im öffentlichen Bereich jedoch nicht.

So wurde Michael Geyer als junger Mann zwar zunächst diplomierter Malermeister und beschäftigte sich mit Vergolden, mit Aktzeichnungen und Siebdruck, doch seine Berufung entdeckte er in der pädagogischen Arbeit mit Behinderten. Die erste Ausstellung kam erst nach dem Eintritt in den Ruhestand: Geyer sollte in einem Restaurant Zeichnungen rund um das Thema Essen und Genießen ausstellen. „Dabei habe ich das Zeichnen von Karikaturen als ernsthafte Beschäftigung entdeckt – so weit das Wort ‘ernsthaft’ bei Karikaturen passt.“ Doch ehe die Schau eröffnet wurde, ging das Restaurant bankrott. Dafür stellte Geyer dann im Baden-Württembergischen Landtag aus.

Was ihn künstlerisch beflügelt? Der Hintersinn von Worten vor allem, schmunzelt Geyer. „Mein Kopf filtert Informationen, die ich höre oder lese, und sie kommen dann oft völlig anders zum Liegen. Weil ich die Dinge wörtlich, ‘beim Wort’ nehme.“

So wie in St. Gallen, als er an einer Ampel das Schild mit der Aufschrift „Fußgänger bitte drücken“ sah. Was Geyers Fantasie mit der Aufforderung machte, ist unter anderem ab Mittwoch in der Thalfinger Insel-Galerie zu sehen. Einer der Cartoons zeigt einen – unschwer als Franz-Peter Tebartz van Elst – erkennbaren Bischof, der seinen Bischofsstab weit von sich schleudert.

Importierte Rosen, mit Pestiziden behandelt, der holden Gattin als perfider Mordplan geschenkt – das spiegelt sich in der Bilderfolge des Cartoons „Gift“, der das englische Wort für „Geschenk“ mit der ungesunden Wirkung der Rosen verquickt. Gezeichneten Spott hat Geyer für die Empfehlung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker an Frauen, zu ihrem Schutz immer eine Armlänge Abstand zu wahren.

Und auch über Gott kann der Betrachter aus Geyers Karikaturen so manches erfahren. Dass er vom Himmel aus auch gern aus den Spaghettitellern der Italiener nascht, zum Beispiel.

Ausstellung: „Das Leben als solches und wie es so spielt“ ist seit Mittwoch in der Galerie auf der Insel, Ulmer Straße 6, in Thalfingen zu sehen. Michael Geyers Cartoons sind dort bis 18. Dezember zu sehen. Der Verkaufserlös der Ausstellung geht komplett an die Organisation „Ulms kleine Spatzen“, die bedürftigen Kindern hilft. Geöffnet ist die Galerie Donnerstag bis Sonntag, jeweils von 16 bis 18 Uhr.

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